Mit dem australischen Künstler Leigh Bowery (1961–1994) widmet sich der Kunstverein Hannover einem der schillerndsten Grenzgänger der Londoner Club-, Mode- und Kunstszene der 80er und 90er Jahre. Bowery, der 1980 von Australien nach London übersiedelte, machte seine Sexualität zum ästhetischen Ausdrucksmittel und benutzte dabei bewusst den eigenen Körper in seiner überbordenden Fülle als künstlerisches Medium. Seine Verkleidungen, Maskeraden, Travestien untersuchen die Begriffe Mode und Körper in ihren Grenzbereichen zu unterschiedlichsten gesellschaftlichen Feldern. Seine körperliche Massigkeit nimmt Bowery zum Ansatzpunkt eines extrovertierten und extravaganten Körperkults, in dem sich die Konzepte von Hässlichkeit und Schönheit, von gesellschaftlicher Normiertheit und Grenzüberschreitung überkreuzen.

Das Ergebnis war eine Kunstfigur, unter der Bowery selbst vollkommen verschwand und die in unterschiedlichen Bereichen rezipiert wurde. So ließ sich Lucian Freud von Bowery zu einigen seiner faszinierendsten Aktdarstellungen inspirieren. 1988 entdeckte ihn der Londoner Galerist Anthony d’Offay, und Bowery posierte während seiner „Ausstellung“ Tag für Tag in wechselnden Kostümen im Schaufenster der Galerie.

Diese erste Performance im Kunstkontext war auch der Beginn der Zusammenarbeit mit dem Fotografen Fergus Greer, der ihn bis zu seinem frühen Tod (er starb 1994 an den Folgen einer HIV-Infektion) begleiten sollte. Greer hielt die exaltierten Posen Bowerys in immer neuen, selbst gefertigten Outfits mit jenen über 200 Studioaufnahmen fest, die bis heute die unbeschwerte Sonnenseite, die makellose Oberfläche seines Werkes bilden, das für so unterschiedliche Künstler- und Kunst-Persönlichkeiten wie Boy George, Vivienne Westwood oder Alexander McQueen stilprägend werden sollte. Dass sich hinter dieser exaltierten Modefassade ein Werk eröffnet, das in außerhalb der Club-Szene bis dato unbekannte Abgründe zwischen Punk-Ballett und SM-Performances vordringt, macht die Beschäftigung mit der Kunst-Figur Bowerys darüber hinaus besonders interessant.

Die eleganten Hochglanz-Fotografien wurden nach seinem Tod einerseits zum eindrücklichen Vermächtnis einer rastlosen Arbeit an sich und seiner Kunstfigur, erschweren jedoch andererseits die Rezeption des sich hinter dieser Oberfläche verbergenden, sich in unterschiedliche Subkulturen verzweigenden Werkes. Die Ausstellung im Kunstverein Hannover möchte dementsprechend neben den Kostümen und Modefotografien wesentlich auch den Grenzgänger zwischen Kunst und Subkultur, zwischen Körperkult und einer Ästhetik des Hässlichen, zwischen Queer-Kult und homoerotischem Outcome beleuchten – und so unter seinen vielfältigen Camouflagen Leigh Bowery als einen der produktivsten Künstler an der Grenze von High und Low, von Kunstgeschichte und Club-Kultur sichtbar werden lassen.

Zur Ausstellung, die im Rahmen des Projektes „Hannover Goes Fashion“ stattfindet, erscheint ein Katalog.

www.kunstverein-hannover.de